Psychische Gesundheitsprobleme – warum sind sie tabu?

Psychische Gesundheitsprobleme – warum sind sie tabu?

Glückliche Österreicher: Die Hauptstadt Wien landet regelmäßig auf Platz 1 der lebenswertesten Städte international, die Luft ist gesund, die Natur spektakulär – und dennoch leiden Millionen von Bewohnern der Alpenrepublik an psychischen Problemen.

Laut Studien liegt Österreich glücklicherweise zwar nur im europäischen Mittelfeld, was Depressionen anbelangt. Aber das bedeutet immer noch, dass rund 6,8 Prozent der Frauen und 6,3 Prozent der Männer irgendwann im Laufe ihres Erwachsenendaseins an einer depressiven Erkrankung leiden. Im Nachbarland Deutschland wird sogar davon ausgegangen, dass jeder 5. oder 6. im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einer Depression erkranken wird. Aktuell leiden rund 4 Millionen Deutsche daran.

Krisenzeiten sind für den Menschen prinzipiell belastend. Die vergangenen eineinhalb Jahrzehnte waren in der Hinsicht besonders problematisch. Die Bankenkrise von 2008, die zu Jobverlusten und Unsicherheit geführt hat, ließ die Zahl der Leute mit psychischen Problemen stark nach oben steigen. Die Pandemie 2020 verstärkte das noch, und auch der Ukrainekrieg macht nicht nur den Österreichern zu schaffen.

Andauernde Unsicherheit und Angst führen zu Überforderung und Stress. Der Körper wird irgendwann überlastet. Das kann sich in Schlafstörungen, einem geschwächten Immunsystem oder auch einer Depression äußern.

Im Gegensatz zu körperlichen Krankheiten mit deutlich sichtbaren Symptomen werden psychische Störungen häufig immer noch ignoriert oder heruntergespielt. Dabei gehören sie zu den gefährlichsten Krankheiten, die im schlimmsten Fall sogar zum Suizid führen können.

Der erste Schritt ist, sich selbst einzugestehen, dass man ein Problem haben könnte. Typische Symptome sind anhaltende Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Verlust von Interesse und Freude, Appetitlosigkeit und Schlaf- sowie Konzentrationsstörungen. Verringertes Selbstvertrauen, Ängste und negatives Denken sind ebenfalls häufig.

Bei jüngeren Männern sind psychische Ursachen von erektiler Dysfunktion einer der Hauptauslöser bei anhaltender Potenzschwäche.

Je früher Patienten Hilfe bei seelischen Leiden suchen und eine Therapie bekommen, desto besser sind die Heilungschancen. Aber gerade, weil psychische Erkrankungen vielfach stigmatisiert werden, fällt es zahlreichen Patienten schwer, sich professionelle Behandlung zu suchen. Schamgefühl über die als persönliche Schwäche empfundene Erkrankung kommt häufig hinzu.

Dabei kann jeder aus dem Gleis geworfen werden, wenn es um das seelische Gleichgewicht geht. Das gilt für alle Altersgruppen. Während die einschneidenden Krisen weltweit zu einem Zuwachs bei den psychischen Erkrankungen geführt hat, können auch negative private Ereignisse wie Scheidungen, Armut oder Arbeitslosigkeit, aber auch genetische Faktoren eine Rolle spielen.

Depressive Stimmungen erlebt so gut wie jeder manchmal, doch wenn es um eine echte depressive Phase geht, muss sie professionell behandelt werden. Die Zähne zusammenbeißen oder sich sagen lassen, dass die Sache schon morgen wieder ganz anders aussehen kann, nützt bei seelischen Leiden nichts. Im Gegenteil, je mehr das Problem kleingeredet oder ignoriert wird, desto schwieriger ist es für den Patienten, aktiv eine Behandlung zu suchen.

Innerer Rückzug auf der Arbeit oder im Privatleben, soziale Isolierung und Vereinsamung sind häufige Folgen. Davon sind nicht nur Singles betroffen. Das gesamte soziale Umfeld kann negativ beeinflusst werden, wenn im Familienkreis oder unter den Freunden jemand unter Depressionen leidet.

Die Produktivität ist zumeist genauso betroffen, selbst wenn der Patient weiter zur Arbeit geht. Laut Berechnungen der London School of Economics entstehen für die Betriebe in diesem Fall in der Regel sogar weitaus höhere Kosten als durch den Ausfall während einer Therapie.

Weil Stressfaktoren und dauernde Adrenalin- und Cortisolproduktion dem Körper zusetzen, steht das Immunsystem genau wie die Psyche unter ständiger Belastung. Erhöhte Anfälligkeit für andere, körperliche Erkrankungen ist die Folge.

Früherkennung ist die Grundvoraussetzung, um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Die erste Anlaufstelle sollte der Hausarzt sein, selbst wenn es um Symptome wie andauernde Potenzschwäche oder Niedergeschlagenheit geht. Der Allgemeinmediziner kann andere Ursachen ausschließen und an Fachärzte oder psychologische Psychotherapeuten überweisen.

Die wichtigsten Behandlungsmethoden sind Antidepressiva und Psychotherapie. Häufig wird beides kombiniert. Ambulante Therapien oder Klinikaufenthalte dienen dazu, die Ursachen zu erforschen und zu behandeln.

Um die Tabus rund um seelische Leiden aufzubrechen, sehen Experten noch vieles an Nachholbedarf. Ein positiver Schritt sind Diskussionen in der Öffentlichkeit, inklusive des Arbeitsplatzes.

Verstärkt bekennen sich mittlerweile Prominente zu ihrem Kampf mit dem seelischen Gleichgewicht. „Captain America“ Chris Evans, Selena Gomez, Lady Gaga, Angelina Jolie und Katy Perry haben offen über ihre Probleme geredet.

In Deutschland und Österreich ist die Liste nicht so lang und hochkarätig, aber sie wächst stetig an. Das Ziel ist es, das gesamte Spektrum der psychischen Erkrankungen aus dem Tabubereich herauszuholen.

Wenn sogar reiche und berühmte Leute, die sich so gut wie jeden Wunsch erfüllen können, unter Depressionen leiden, ist es kein Wunder und vor allem keine Schande, dass auch jeder andere an den gleichen Dingen erkranken kann. Das gilt auch, wenn der Betroffene in der lebenswertesten Stadt der Welt zuhause ist oder sich in spektakulärer Natur befindet.